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"Die besten Reihenhäuser der klassischen Moderne" - so müßte die Überschrift eigentlich lauten! Spricht man über die fünf Reihenhäuser J.J.P. Ouds der Weissenhof-Siedlung - und hier wird der Autor breite Zustimmung finden - so kann man dies getrost in Superlativen: vom Grundriss über die äußere Formgebung bis hin zur städtebaulichen Idee.
J.J.P. Oud kam als "gestandener" Architekt mit bereits beachtlichem Oeuvre auf den Weissenhof. Er war Mitbegründer der einflußreichen De Stijl-Gruppe und hatte als Stadtbaumeister von Rotterdam bereits reichlich Erfahrung im Siedlungsbau gesammelt. Und so kam es, daß Oud aufgrund der Auslastung seines Büros erst spät die Entwürfe für die Reihenhäuser anfertigte - was aber den großen Wurf keinesfalls vereitelte [1].
Kommen wir zunächst zum städtebaulichen Hintergrund. Fünf Reihenhäuser, einfach hintereinander geschaltet. Was kann da schon aufregendes passieren? Ouds Idee war durchaus eine einfache: Bruch mit den (deutschen) Konventionen; also nicht mehr vorne der (öffentliche) Eingang und hinten (als Bastion der Privatheit) der abgeschottete Garten. Nein, Oud ging subtiler vor, er legte den (schnöden) Alltag, die (notwendige) Routine in Verbindung mit je einem Wirtschaftshof an die Straße, dagegen die Ruhe und die freundliche Aufahme in Verbindung mit dem Garten an einen Wohnweg.
Will heißen, alle hauswirtschaftlichen Belange, seien es der Einkauf, das Trocknen von Wäsche, aber auch die Anlieferung von Brennstoff, die Post, etc. erfolgen von der Straße. Hier wird also der Teil der Öffentlichkeit bedient, dem man sich für gewöhnlich nicht persönlich öffnet - das macht denn auch die Fassade deutlich: hohe Hofmauer, hoch sitzende Fenster und nach vorne "schießende" Kuben, die für (Anstands-) Abstand sorgen.
Das wirklich Ungewöhnliche geschieht auf der Gartenseite; dieser zugeordnet ist der Wohnraum und ein Windfang. Ein Windfang - seltsam - noch ein Eingang? Tasächlich, Oud ordnet der Gartenseite einen weiteren Eintritt bei. Dieser nun ist aber nur noch halböffentlich, nur noch für die Bewohner und zu empfangende Freunde oder Bekannte, also für den Teil der Öffentlichkeit, den man auch über den privaten Garten einlassen kann. Wichtig hierbei natürlich der Wohnweg: er liegt so günstig (versteckt), daß er nur noch Halböffentlichkeit zuläßt. Wiederum dazu passend vollzieht sich der Fassadenaufbau: die Gartenseite öffnet sich über große Fensterflächen freundlich den Besuchern. Ebenso wichtig, die Randbepflanzung, die man bis heute niedrig halten konnte.
Soviel zur Idealvorstellung, die Realität funktioniert selbstredend nicht derart reibungslos. Und auch Oud selbst schmälerte die Qualität der Idee durch den theoretischen Beitrag, den er zusammen mit den Reihenhäusern einreichte [2]. Er sah für die ideele Ausweitung des Systems vor, jeweils der Garten- die Straßenseite gegenüber zu stellen! Das aber würde bedeuten, daß man auch auf der ruhigen Wohnseite stets die Öffentlichkeit der Straßenseite aushalten müßte, und sei es auch nur die der gegenüber befindlichen Nachbarn! Dabei hätte man ohne weiteres jeweils die Garten- bzw. die Straßenseiten gegenüberstellen können. Die wechselnde Orientierung der Gartenfassade nach Osten oder Westen wäre jedenfalls kein essentielles Hindernis gewesen. Eine seltsame Verwässerung einer wunderbaren Idee.
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[1] Karin Kirsch "Die Weissenhofsiedlung" 1987 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH Stuttgart S.90
[2] ebd. Abbildung S.92
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Zum zweiten Punkt, der äußeren Formgebung : sie ist`s, die den Autor zur Aussage "verführt", Ouds Reihenhäuser seien die besten, die das Neue Bauen hervorgebracht hat. Sicher, diese These ist einigermaßen gewagt, denn wie groß ist die Konkurrenz! Die Reihenhäuser Bruno Tauts oder der Luckhardts in Berlin, Ernst Mays in Frankfurt, Mart Stams (auch) auf dem Weissenhof, Le Corbusiers in Bordeaux-Pessac oder von Oud selbst in Rotterdam - um nur die wichtigsten zu nennen - sind dem Internationalen Stil schließlich durchgehend auf hohem Niveau.
Lassen wir zunächst Walter Gropius sprechen. Er behauptete, "daß unter den Bedingungen der Massenproduktion der individuelle Ausdruck nicht gänzlich verschwinden würde, da der entwerfende Architekt noch immer gewisse Spielräume habe, indem er die vorgefertigten und standardisierten Elemente geschickt manipuliere" [3]. Diese zweifellos gerade dem Modernismus gegenüber zu unterstreichende Aussage sehen wir hier vor unseren Augen eingelöst! Die oben genannten Größen kamen diesbezüglich auch zu sehr guten Lösungen, an die Spitze zu stellen ist - nach Autorenmeinung - jedoch Ouds Weissenhof-Lösung.
Gerne gesellt sich zum Können auch das Glück, so geschehen jedenfalls auf dem Weisshof : Ouds Leistung ward nämlich gesteigert durch die Topographie. Zunächst aber zu Ouds direkter Leistung: es sind die markanten, weiß leuchtenden Kuben der Straßenseite mit ihren spannungsvoll umlaufenden, das Dach zum Schweben bringenden Fensterbändern, die die von Gropius beschworene Individualität gewinnen! Fast erscheinen sie als Solitäre und zeigen dadurch genau die einzelnen Einheiten an.
Was z.B Bruno Taut über ausgefeilte Farbgebung erreichte, das gelang Oud durch den Baukörper selbst - nach Meinung des Autors die größere Leistung. Bei Sonnenschein erzeugen die Kuben ein feines Spiel von Licht und Schatten; das verleiht der Straßenseite Tiefe und stärkt den Eindruck der Individualität.
Nun zur "glücklichen" Topographie. Sie hilft nochmals der Straßenfassade, insbesondere aber der Gartenseite. Das leicht ansteigende Gelände nämlich läßt jede Einheit ca. 30 cm weiter in die Höhe steigen. Diese Subtilität unterstreicht wiederrum die einzelnen Einheiten. Aber Oud wirkte auch auf der Gartenseite entwurflich: er legte die Balkontür zusammen mit dem auffälligen "Kleinstbalkon" direkt über den Eingang; dadurch erhält die glatte Fassade einen vertikalen Taktgeber, gemäß den Hauseinheiten.
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[3] Brent C. Brolin Das Versagen der modernen Architektur 1976 Ullstein S.72
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Praktisch alle eingesetzten Gestaltungsmittel dienen der Sichtbarmachung von Individualität. Innerhalb eines ruhigen, homogenen (Gesamt-)Baukörpers erhält jede Partei ein sichtbares, das zustehende Eigenleben.
Beinahe unnötig zu erwähnen, dass Ouds Detailarbeit wie die bündig in der Fassade sitzenden Fenster, die filigranen Balkone, die hauchdünnen Fenster- und Türprofile der Gebäudeerscheinung enorme Leichtigkeit verleiht, die die Reihenhauszeile ganz generell zu einem "Glanzstück" des Internationalen Stils kürt.
Abschließend zum ebenfalls ausgezeichneten Grundriss. Er besticht wie das Äußere durch Sachlichkeit und Klarheit - und durch höchste Funktionalität. J.J.P. Oud war ein Meister im Entwurf von raumsparenden Grundrissen: jeder noch so kleine Winkel wurde nutzbar gemacht und dabei stets auf räumliche Qualität geachtet. Sein Weissenhof-Grundriss (die fünf Einheiten besitzen identischen Zuschnitt) kann als Weiterentwicklung der Arbeiterhäuser seiner Rotterdamer Siedlungen gewertet werden.
Das vielleicht wichtigste, die ungewöhnliche Aufteilung der Eingangssituation, wurde bereits oben behandelt. Darüberhinaus fällt die ebenso schon angedeutete Zuordnung der hauswirtschaftlichen Belange zum Wirtschaftshof auf: die (große) Küche, ein Abstellraum und die Waschküche sind ihm zugeordnet, machen ihn förmlich zum Zentrum. Dazu gehört noch ein Trockenraum, der sich hinter dem so reizvollen Fensterschlitz des vorgeschobenen Kubus "versteckt".
Es fällt auf, daß die wirtschaftlichen Aufgaben nicht "zu Tode" rationalisiert wurden, vielmehr scheint es zu ihrer Inszenierung zu kommen: die Hausfrau (1927) erhält sozusagen ihr eigenes Reich - ein wenig schade dagegen ist die hohe abschottende Mauer des Wirtschaftshofes.
Über Durchreiche und Zugang mit dem Wirschaftsbereich verbunden ist der Wohn-, und Essbereich, der sich über ein breites Fensterband dem Garten öffnet. Sehr gut gelöst wurde der Windfang: seine Decke ist deutlich niedriger als die des Wohnraums, wodurch er wie dessen Möbelstück (inkl. Regal) wirkt und ihn dadurch optisch vergrößert.
Trefflich auch der Durchblick vom Wohnraum über die Durchreiche durch die Küche bis zur Mauer des Wirtschaftshofes; neben der interessanten Schichtung der Räume wird so die gesamte Tiefe des Gebäudes spürbar.
Rational durchdacht gibt sich des weiteren das Obergeschoss. Hier finden drei (kleine) Zimmer ihren Platz, zwei davon mit direktem Zugang zum Bad. Richtigerweise von diesem getrennt ist das WC. Beide werden über das Flachdach gelüftet. Außerdem gibt`s noch eine Abstellkammer - löblich bei der geringen Größe der Zimmer, genauso wie die stete Nutzung von Restflächen für Einbauschränke.
Wir sehen, Ouds rationaler Grundriß erweist sich wie kaum ein anderer stets als im Dienste der Bewohner.
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J.J.P. Ouds Reihenhäuser erfuhren im Verlaufe der Ausstellung breite Zustimmung, gehörten gar zu den "Stars" des Weissenhof.
Mitunter wurde ihnen jedoch (auch von modernen Kritikern) übergroße puristische Strenge vorgeworfen. Ouds Reihenhäuser stellen ein veritables Endprodukt dar; nirgendwo gibt es ein "Zuviel"; die Umsetzung der Ideen geschieht in vollkommener Reinheit. Da man auf ein solches Ergebnis (auch auf dem Weissenhof) nur selten trifft, kann man es tatsächlich mit Strenge verwechseln. Ouds Leistung ficht dies jedenfalls mitnichten an.
Die Weissenhof-Reihenhäuser stellten ganz unerwartet auch für Oud selbst das Endprodukt intensiver Auseinandersetzung mit diesem Typus dar; für ihn persönlich sollte es nämlich fortan nicht mehr gut laufen. Der Bruch kam tatsächlich genau nach dieser Gebäudegruppe: war sein Büro kurz zuvor noch "überbucht", so konnte er urplötzlich für viele Jahre keinen seiner Pläne mehr umsetzen! [4]
Die Wirren der nun heraufziehenden Jahre - Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg - verschonten keinen der großen "Modernen" - nervliche Probleme Ouds taten ein übriges.
Neben dem Alten und Neuen Schloss zählt die Weissenhof-Siedlung und damit auch Ouds Reihenhäuser zu den Hauptsehenswürdigkeiten Stuttgarts.
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[4] Günther Stamm "J.J.P. Oud Bauten und Projekte 1906-1963" 1984 Florian Kupferberg Mainz S.109 ff
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