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Auf dem Weissenhof sollte auch ein "Himmelstürmer" seine Chance ehalten: Mart Stam, ein junger Holländer und gewiß kein Mann der moderaten Töne. Kostprobe gefällig? Als Mitarbeiter der schweizer Zeitschrift ABC forderte er unverhohlen "die Diktatur der Maschine" [1].
     Ja, ein Radikaler war er, ein Radikaler, der zudem noch ohne bauliches Oeuvre war. Trotzdem, Mies van der Rohe setzte nicht geringes Vertrauen in den jungen Holländer: die schriftlichen Zeugnisse und ein moderner Beitrag zum Wettbewerb um den Genfer Hauptbahnhof genügten ihm offensichtlich um dessen Talent zu erkennen. Mies teilte ihm also drei Reihenhäuser zu. Stam nahm dankend an, um flugs einer breiten Öffentlichkeit sein Können zu beweisen.
     Mart Stam gab sich gerne als "knallharter" Funktionalist, es sollte "das Launenhafte, Individuelle durch das Kollektive, Normalisierte ersetzt werden" [2]. In der Werkbundsiedlung handelte er dementsprechend und schuf doch unverwechselbare Architektur - wie das? Zunächst läuft alles in den erwarteten funktionalistischen Bahnen: ein erstes Reihenhaus, dann das zweite und schließlich ein drittes - doch was geschieht dann? - plötzlich ziehen Esprit und eben doch das Launenhafte ein, durch einen funktionalistisch geradezu verfehlten Fortsatz!
     Beginnen wir also auf der Straßenseite mit den ersten beiden (einfachen) Reihenhäusern. Unerbittlich zieht Stam sein Programm durch. Die Räume sollen Licht, Luft, Sonne erhalten. Ergo reiht Stam stramm Fenster an Fenster; wären da nicht die interessanten Eingangsvorbauten, die Reihenhäuser kämen geradezu dröge daher. Eine (enorme) Aufwertung erfolgt erst durch den schon angedeuteten "Anbau", der zur danebenliegenden Einheit gehört (also zum dritten Reihenhaus). Darin befinden sich im Erdgeschoss ein Gartenzimmer und darüber eine Dachterrasse.
     Letztere erfährt eine fast spektakuläre, klar individuelle Ausformung: an der Straßenseite setzte Stam im Rhythmus der Gesamtfassade ein Fensterelement auf die Brüstung und auf der Gartenseite baute er einen gleichsam aus der Seitenfassade "schießenden" Steg an die Terrasse, an dessen Ende er eine auffällig filigrane Eisenwendeltreppe fügte.

[1] ABC Beiträge zum Bauen, Nr.4  1927-28
[2] ABC Beiträge zum Bauen, Nr.2  1924
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Natürlich konnte Stam den individuellen Anbau auch funktionalistisch erklären. Die einfachen Reihenhäuser haben ihr Gartenzimmer in direktem Zugang zum auf gleicher Ebene liegenden Garten (Kellerniveau). Beim dritten war dies aufgrund des deutlich höher liegenden Grundstücks nicht möglich, folgerichtig wird das Zimmer als Anbau auf Erdgeschoss- Niveau ausgeführt.
     Aber dieses Argument entpuppt sich als eher vorgeschoben. Betrachtet man nämlich den Grundriss des Untergeschosses, so fällt sofort auf, dass bei allen Reihenhäusern die Außenwände samt Fundamenten identisch ausgeführt wurden, bei besagter dritter Einheit wurden lediglich Tür und Fenster logischerweise weggelassen.  Damit wäre es aber völlig unproblematisch, platzsparend und deutlich kostengünstiger gewesen, das Gelände abzutragen (eine Stützmauer brauchte man ohnehin!) und den Gartenraum entsprechend der anderen anzuordnen, anstatt einen Annex mit zusätzlichen Wänden und Fundamenten zu schaffen. Und dann wären auch die Reihenhäuser identisch gewesen, das Kollektive hätte tatsächlich über das Individuelle gesiegt. Statt dessen Individualität zu Lasten höherer Baukosten - welch' Widerspruch!
     Ein Widerspruch indessen, der Stams Reihenhäuser zu nichts weniger als den besten Ergebnissen der Ausstellung gesellte. Die Straßenseite erhielt im strengen System die benötigte Abwechslung und die Gartenseite, neben der Variation, mit Steg und Wendeltreppe treffliche Details.
     Mart Stam hatte natürlich seine "Hausaufgaben" gemacht. Ganz im Sinne des Internationalen Stils ist der Bau durch eng aneinander gereihte liegende Fensterformate klar horizontalisiert und dank der auf gleicher Höhe liegenden Glas- und Putzflächen der modernen Leichtigkeit verpflichtet. Diese wird unterstützt durch unterschiedliche Färbung der Straßen- und  Seitenfassaden: der Körper wird in Flächen aufgelöst. Diese Maßnahme jedoch war interessanterweise keine Anweisung Stams! Dieser nämlich hatte ein gebrochenes Weiß gewünscht - hier setzte die ortsansässige Bauleitung zum Vorteil der Wirkung einfach und freilich unerhörterweise eigene Vorstellungen um [3].

[3] Karin Kirsch "Die Weissenhofsiedlung"    1987  Deutsche Verlags-Anstalt GmbH  Stuttgart    S.183
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Mies van der Rohe gestand Mart Stam drei Reihenhäuser, bestimmt dem mittelständischen Wohnen zu (also keine Wohnungen des "Existenzminimums" für die Industriearbeiter-Schicht). Stam erfüllte diese Vorgabe durch eine für Verhältnisse der 1920er Jahre großzügige Wohnfläche, bestehend aus Ess- und Wohnbereich mit zugeordnetem Garten-, bzw. Arbeitsraum, sowie drei Schlafzimmern, bei Verzicht auf Hausangestellten-Zimmer. Außerdem ordnete er ein großes Bad und im Keller ausgesprochen große Abstell-, Vorrats-flächen bei. Die Küche liegt nahe des Eingangs und ist über Durchreiche mit dem Wohn- und Essbereich verbunden.
     Die Qualität der Wohnungen besteht in der räumlichen Zusammenstellung von Wohn-, Essraum und dem Gartenzimmer, entweder auf gleicher Ebene (Reihenhaus mit Anbau) oder über zwei Geschoße bei Verbindung mit einer interessanten filigranen Eisentreppe (diesmal einläufig und nicht wie für die Dachterrasse gewendelt). Positiv wertbar ebenso die Lage der Küche mit Blick auf den Eingang und ihre Verknüpfung mit der Essecke. Auch die Großzügigkeit des Badbereichs erweist sich als angenehm.
     Schwächen aber werden bei Betrachtung des Wohnungsschnittes gleichfalls sichtbar. Besonders auffällig: ein gefangener Schlafraum (d. h. ohne Fenster) im Obergeschoss!  Da ist er dann doch wieder, der "knallharte" Funktionalist mit seiner unerbittlichen Logik: ein Schlafzimmer wird nur nachts benutzt, ergo bedarf es keines Fensters zur Belichtung! Das freilich lässt doch erschaudern. Und, ganz nebenbei, was ist dann mit den anderen Schlafräumen? Diese erhalten "urplötzlich" eine Komplettbefensterung und damit fast das Maximim an möglichem Licht. Schon wieder diese Stamsche Widersprüchlichkeit! Der Raum ohne Fenster - er ist jedenfalls unbewohnbar - kann von Anfang an guten Gewissens nur als Abstellraum dienen.
Gewiß auch nicht jedermanns Sache ist die fehlende Abschließbarkeit des Bades. Dieser Bereich kann nur per Vorhang abgetrennt werden. Seltsam erscheint es schon, das Obergeschoss: warum tauschte Stam nicht einfach das gefangene Zimmer gegen das Bad? Der Schlafraum hätte dann durch das lange Fenster und größere Grundfläche ebenso als Aufenthaltszimmer dienen können, und das Bad hätte bei ausreichender Größe problemlos über das Flachdach belüftet und gegebenenfalls belichtet werden können.
     Aber genug der Kritik - der positive Eindruck der Entwurfsmaßnahmen überwiegt denn doch eindeutig! Stams Reihenhäuser können glücklicherweise mit seiner harschen anti-individuellen Rhetorik nicht schritthalten. Eine einzige (unfunktionale) Abweichung adelt das gesamte Gebäude, verleiht ihm seinen unverwechselbaren und eben nicht kollektiv-anonymen Charakter.
     Und Mart Stam hatte nun allgemein auf sich aufmerksam gemacht. Der Lohn: Berufung zum Bauhaus-Meister und Auftrag für die Großsiedlung Hellerhof des "Neuen Frankfurt".
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