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Spaziert man mit befreundeten Architekten entlang des Neckars, gegenüber der romantischen Altstadt Heidelbergs, kommt auf die Höhe der Posseltstraße und deutet auf die im Sonnenlicht weiß leuchtenden Kuben, vermag dann noch zu berichten, dass dieses Gebäude von Heinrich Tessenow stammt, so erntet man nur erstaunte bis ungläubige Blicke. Und in der Tat, man tut sich schwer die kompromißlos moderne Villa Freudenberg dem altehrwürdigen Tessenow zuzuordnen.
Wie Tessenow in jener Zeit eigentlich zu entwerfen pflegte, wird an dem deutlich bekannteren Haus der Fischbachtal-Siedlung gegenüber Bruno Tauts Siedlung Onkel Toms Hütte in Berlin (Abbildung oben) erkennbar: in Kontinuität zu traditioneller Gestaltung, keinesfalls aber dem Neuen Bauen verpflichtet. Wie erstaunlich also unsere Villa am Neckar! Genauso erstaunlich aber auch das bis heute geringe, um nicht zu sagen nicht vorhandene Echo auf dieses Gebäude. Nach Meinung des Autors dagegen zählt es zu den am meisten unterschätzten Bauwerken der deutschen Klassischen Moderne.
Doch zunächst zur Entstehungsgeschichte: 1927 beauftragt der Chemiker Professor Karl Freudenberg den zu den bekanntesten Architekten seiner Zeit zählenden Heinrich Tessenow mit dem Bau einer Villa auf einem trefflich situierten, nur durch eine Wiese vom Neckar getrennten Grundstück. Tessenow, Hermann Muthesius und Theodor Fischer sind damals die großen und keinesfalls halsstarrigen "Alten" in Deutschland. Sie hatten die Heroen des Neuen Bauens maßgeblich inspiriert, blieben selbst aber einer traditionellen Formensprache vepflichtet, die sie in Einfachheit und Zweckmäßigkeit weiterzuentwickeln suchten.
Tessenow fertigte also einen ersten Entwurf an, übergab dann aber wegen eines Kuraufenthaltes in Baden-Baden das Projekt an seinen Assistenten Alfred Roth [1]. Und offensichtlich war es jener Herr Roth, der dieser Villa das so eindeutig moderne Erscheinungsbild verpasste. Roth behielt zwar den Grundriss im wesentlichen bei, schuf ansonsten aber ein Gebäude, das kaum mehr der Tradition sondern vielmehr dem Neuen Bauen huldigt - so zumindest auf den ersten Blick.
[1] Bernd Müller Architekturführer Heidelberg Bauten um 1000 - 2000 1998 Edition Quadrat Mannheim S.187
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Überaus spannend wird es aber, unterzieht man das Gebäude einer längeren Betrachtung. Der Autor will an dieser Stelle wiederholen: dieses Haus gehört zu den unterschätzten des Neuen Bauens. Um das Ergebnis vornean zu stellen: die Komposition des Baukörpers und die Detailsprache schaffen eine überaus glückliche, überaus gelungene Verquickung von Tradition und Moderne, wobei letztere - und das ist hier natürlich wichtig - die Führungsrolle spielen darf.
Zunächst zum Baukörper: sowohl die Garten- als auch die Straßenseite lassen eine klassische vertikale Dreiteilung erkennen. Die Straßenseite verhält sich dabei zwar asymmetrisch, beläßt aber den Eingang im mittleren Baukörper und, betrachtet man die gesamte Fasade, genau in der Mitte. Anders die Gartenseite: hier zeigt sich Symmetrie, aber keine konsequente, sondern - und das beschert der Wirkung keinen Abbruch, bereichert statt dessen - eine nur latente: der mittlere Bauteil tritt risalitartig nach vorne (in sich schon "fast" symmetrisch), die zwei, eigentlich drei anschließenden Körper treten auf interessante Weise zurück. Der (vom Garten aus gesehen) linke weniger, stärker dafür die beiden rechten. Deren erster, der filigrane Glaskubus, nimmt dabei die Flucht des linken Baukörpers auf und leitet über in den dahinterliegenden Gebäudeteil, der nun seinerseits die Höhe des linken Körpers fortführt. Dadurch wirkt die Gartenfassade insgesamt in einer feinen Abstufung symmetrisch. Erstaunlicherweise war es Alfred Roth, der die latente Symmetrie einbrachte, zuvor hatte Tessenow eine Staffelung wie auf der Straßenseite vorgesehen [2].
Über jene Dreiteiligkeit der Vorder- und Rückseite, die durch Komposition sowohl in historischer Kontinuität als auch modern erscheint, wurde nun durch Roth eine eindeutig der Moderne verpflichtete horizontale Dreiteilung gelegt: das Gebäude wirkt als Kubus, will heißen, besteht eigentlich nur noch aus hohem Piano Nobile (zweigeschossig) mit sehr kleinem Sockel und dem "Hauch" eines oberen Abschlußes, einem gekanteten Kupferblech in Verbindung mit einem Sandsteinstreifen.
Interessant und aufschlußreich zeigt sich auch die Detailsprache. Sie kann nicht verhehlen, daß sie aus dem Atelier Tessenow stammt. So finden sich die Eingangspergola, die schmalen Rahmen um jede Öffnung, die gesprossten, nur knapp hinter der Mauerwerksaußenkante liegenden Fenster und insgesamt die Behandlung der Außenhaut als Lochfassade auch am Haus in der Fischbachtal-Straße Berlin.
Roth verzichtete also auf die für das Neue Bauen so typischen langen horizontalen Öffnungen, die den Bauten ihren liegenden, häufig dynamischen Charakter geben - er beließ es bei der konventionellen Lochfassade, allerdings nicht ohne ihr dennoch modernes Wesen einzuhauchen. Das erreichte er durch liegende Fensterformate und, wie bereits erwähnt, durch nur leicht in der Fassade zurückspringende Fenster, die den Mauern optisch die "alte" (historische) Schwere nehmen.
[2] Bernd Müller "Architekturführer Heidelberg Bauten um 1000 - 2000" 1998 Edition Quadrat Mannheim Grundriss-Abbildung S.187
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Die Fenster im wichtigsten Bauteil, dem "Mittelrisalit" der Gartenfassade sind dergestalt dimensioniert und angeordnet, daß sie auf nur subtile Weise die Horizontale betonen. Die leicht vor die Fassade tretenden Sandsteinrahmen im Erdgeschoß verleihen gar eine nochmals gesteigerte Leichtigkeit. Der gleiche erstaunliche Effekt läßt sich an den langen Fensterbändern von Gropius' Bauhausgebäude und Ouds' Siedlung de Kiefhoek beobachten - hier funktioniert er mit Sandsteinrahmen; wichtig dabei wiederum, dass die Fenster nur knapp dahinter liegen.
Vorzüglich der filigrane, einfach in die Gebäudeecke gestellte Glaskubus mit über ihm schwebender Balkonplatte. Den verglasten Wintergarten hatte bereits Tessenow eingeplant. Hier wird nun das Prinzip umgekehrt, die eindeutig moderne Geste wird durch traditionelle Mittel in ihrer Wirkung gemildert, namentlich durch die stehenden Scheibenformate und die senkrechten Geländerstäbe des Balkons.
Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß traditionelle Gestaltungsmittel immer wieder auf gelungene Weise der Moderne dienstbar gemacht wurden. Die Villa Freudenberg wirkt leicht, keinesfalls nervös horizontalisiert, sondern in sich ruhend, erhaben, elegant - ein beachtlich reifes Werk.
Ungewöhnliche Umstände waren es, die dieses erstaunliche "Stück" Architektur hervorbrachten: ein weiser alter Meister, der das Neue Bauen nicht verdammte und das Projekt zur Weiterführung seinem jungen Assistenten übertrug, der einerseits dem Internationalen Stil zugetan, anderseits sich Tessenow verpfichtet fühlte; und keinesfalls zu vergessen der progressiv gesinnte Bauherr, der bereit war all dies zu (er-)tragen.
Bleibt noch zu klären warum dieses Gebäude bis heute selbst Fachleuten im Grunde unbekannt ist. Schuld hat die Intoleranz der Moderne: soviel "Althergebrachtes", insbesondere die in sich ruhende Lochfassade, die nicht ungehemmt der Horizontalen fröhnt - das durfte nicht sein, auch Flachdach und konsequente Schmucklosigkeit halfen da nichts mehr. Längst schon hatte sich das Neue Bauen um die tatsächlich "moderner" daherkommenden Gebäude Le Corbusiers, Van der Rohes, Gropius`, Ouds, Mendelsohns, etc. geschart. Welch' unnötige, ja auch welch' traurige Beschränkung!
Der Weg, den Tessenow/Roth gingen ist allzumal ein legitimer: Tradition, Historie befruchten Moderne; ein Weg der selten so elegant gegangen wurde. Unnötig zu erwähnen, dass das "Barbarentum in Braun" auch diesen ihr noch zu "modernen" Weg ausmerzte. Die Nachkriegsmoderne, die in ihrem Haß auf alle gewachsenen Baustile tatsächlich noch weiter ging als einst die Heroen des Neuen Bauens, ließ die Villa Freudenberg natürlich endgültig in Vergessenheit geraten.
Und so leuchten die weißen Kuben am Neckar bis heute vor sich hin - wartend auf Rehabilitation.
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Der Grundriss besticht durch ausgesprochene Großzügigkeit, weniger im modernen Sinne einer offenen Struktur. So wurde im Zusammenspiel von Wohn- und Essraum sowie dem Wintergarten und dem zweiten Gartenzimmer (links) eine räumlich spannende Verbindung verpasst. Auch der Grundriss trägt noch ein traditionelles Moment, was aber ebenso wie bei der Gebäudegestaltung nicht zu einer Abqualifizierung führen darf, ist doch die Frage nach offener oder geschlossener Wohnstruktur eine individuell zu beantwortende. Fakt bleibt, dass führende Vertreter des Neuen Bauens, allen voran Walter Gropius, bei der Grundrissfindung zu gleichfalls moderater Neuerung neigten. Die attraktive Schichtung des "Lebensraumes" vom Wohn- und Essraum über die Gartenzimmer und über die mehrfach abgestuften Terrassen bis hin zum Garten und von diesem weitergehend zum niedriger liegenden Neckar mit seinen Wiesen ist jedenfalls eindeutig von modernem Geiste.
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