1928. In der Albert-Überle-Straße, direkt am bekannten Philosophenweg in Heidelberg, geht merkwürdiges vor sich. Zwei Gründerzeit-Villen, gerademal 20 Jahre alt, werden abgerissen - so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick.
Aber dann wird klar, daß nur bestimmte Gebäudeteile entfernt werden: die geneigten Dächer, Erker, die feingliedrig gesprossten Fenster, der Fassadenschmuck; außerdem werden zwischen den Villen Wände emporgemauert. In der Tat merkwürdig ...
Ein Jahr später ist er fertig, einer der spektakulärsten Villenbauten im Sinne des Neuen Bauens in Deutschland. Die Moderne hatte auf ganzer Linie gesiegt : zwei einst prächtige Villen der Jahrhundertwende wurden all ihrer originären Qualitäten beraubt und im Sinne zeitgemäßer Gestaltungsideen zu einem veritablen Gebirge gebrochenweißer Kuben, die sich einen Hang hinaufstaffeln, zwangsvereinigt.
Das Experiment glückte - es entstand ein "Schloß" der Moderne mit 36 Zimmern, Aufzug, Schwimmbad mit aufschiebbarem Glasdach, einem eigenem Gebäude für den Gärtner, einem Teehaus und, als wäre dies alles nicht ausreichend spektakulär, einem beachtlichen "Turmhaus" für den Chauffeur. Außerdem gab es eine dem Ensemble entsprechende Gartenanlage aus verschachtelten, bergauf gestaffelten Terrassen und - weil man wirklich modern war - Bauhausmöbel [1].
Genauso illuster wie sein Gebäude ist der Bauherr: Dr. Friedrich Bergius, Chemiker und seines Zeichens Nobelpreisträger der Chemie. Als Architekt durfte sich der eher unbekannte Essener Professor Edmund Körner profilieren.
Betrachtet man nun die Villa genauer, so wird deutlich, daß die Moderne doch nicht auf ganzer Linie gesiegt hatte: die stehenden Fensterformate der ursprünglichen Gebäude waren erhalten geblieben und zum "Taktgeber" für die neuen Gebäudeteile geworden. Das Gebäude besitzt zwar auch horizontalisierende Gesimsbänder (ohnehin längst kein Avantgarde-Stilmittel mehr), insgesamt aber verbleibt der Vertikalen eine nicht kleine Rolle.
Das bringt einerseite Ruhe und Eleganz in den Baukörper, aber eben der für den Internationalen Stil so bestimmenden Horizontalen nicht die große Geltung. Auch die unteren, gestreckt dimensionierten Baukörper sind so in ihrer dynamischen Wirkung durchaus gebremst.
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[1] Bernd Müller "Architekturführer Heidelberg Bauten um 1000 - 2000" 1998 Edition Quadrat Mannheim S.186
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