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Mitte der zwanziger Jahre begab sich das Neue Bauen an den Neckar, den zweitlängsten Fluß Baden-Württembergs; um dann siegreich stromabwärts zu rauschen von Stuttgart bis zur Rheinmündung in Mannheim.
Das Ziel war die Umwandlung des bis dato oft unberechenbaren Neckars in eine leistungsfähige Wasserstraße, wozu selbstredend eine Vielzahl von Schleusen, Wehren und Kraftwerksbauten von Nöten war. Diese wurden in überwiegender Mehrzahl konsequent nach den Regeln des Neuen Bauens aus dem Fluß empor getrieben.
Wer nun im verantwortlichen Architekten einen Vertreter des modernen Stils vermutet, darf sich gründlich getäuscht sehen. Als baukünstlerischer Berater der Neckarbaudirektion fungierte nämlich kein geringerer als Paul Bonatz! Ausgerechnet Paul Bonatz also, neben Paul Schmitthenner und Paul Schulze-Naumburg der Hauptvertreter der einflußreichen Stuttgarter Schule, die zugleich den Kern der konservativen Architektenvereinigung der "Block" bildete. Diese aber war als entschiedene Reaktion auf dessen moderne Variante der "Ring" gegründet worden.
Aus dieser exponierten Stellung heraus überzog er das Neue Bauen, dann zumeist das Werkbundprojekt Weissenhof mit beissendem Spott, schmähend rief er aus: "Vorstadt Jerusalems" [1]!
Über jeden Zweifel erhaben mögen zwar Bonatz` Fähigkeiten im Umgang mit historischem Formenvokabular sein, so gilt der 1911 von ihm ausgeführte Stuttgarter Hauptbahnhof als ein gelungenes neoklassizistisches Werk. Unerträglich dagegen seine immer auch ein wenig eifersüchtig wirkende, gebetsmühlenartig vorgetragene Kritik an der Weissenhof-Siedlung und an moderner Architektur im allgemeinen.
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[1] Karin Kirsch "Die Weissenhofsiedlung" 1987 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH Stuttgart S.206
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Und trotzdem, das Neue Bauen übte eine Anziehungskraft aus, der sich Bonatz nicht wirklich entziehen konnte, nicht entziehen wollte. Nachdem der Weissenhof feriggestellt war, er die Leistungen mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte Bonatz seine Meinung revidieren: "Die gegliederten Kuben ergeben malerische Überschneidungen und die hellen Farbtöne ein freundliches Gesamtbild. In derartig zusammengestellten Kuben ist es schlechterdings möglich, eine häßliche Gesamtwirkung zu erzielen, alles verbindet sich zu einer gewissen Einheitlichkeit." [2]
Genau in diesem Spannungsfeld tat sich für Paul Bonatz eine große Chance auf: er sollte als beratender Architekt für die einzig der Technik dienenden Anlagen der Neckar-regulierung fungieren. Bonatz nutzte die Chance, "rechtzeitig" stellte er fest, daß die Moderne bei rein technisch-funktionellen Bauvorhaben durchaus Existenzberechtigung besäße, um dann meisterhaft auf der Klaviatur moderner Gestaltungsgrundsätze zu spielen. Fensterbänder, Flachdach, ornamentlose, glatte Körper, Übereck-Fenster - all die eigentlich verpönten Stilmittel, sie waren nun (durch die Hintertür) zugelassen!
Die Staustufen sind in der Regel - und dies ist keineswegs Kritik - Variationen des immer gleichen Themas: kubisches Betriebsgebäude an einem der Flussufer und drei oder vier Pylonen den Fluß überquerend, zwischen sich die Stauwehre und die Schleusen spannend, umrahmt von verschiedenen Nebengebäuden.
Augenfällig sind neben dem Betriebsgbäude die überaus markanten Flußpylonen. In ihrer Gestaltung nehmen sie eine klare Richtungsanzeige vor: die stumpfe (rechtwinklige), durch den Höhensprung des Flußes später aus dem Wasser tretende Seite zeigt zum Oberwasser - die spitz zulaufende, leicht geschwungene, steil aufragende Kante dagegen zum Unterwasser. Damit erzeugen die Pfeiler eine beachtliche Dynamik. Das entwurfliche Thema ist nicht etwa das Entgegenstemmen, das Aufhalten der Wassermassen (wie es die Schleusen durchaus nahelegen könnten) - nein - die Idee ist eine ganz andere, eine ganz erstaunliche: Bonatz gibt dem Fluß an diesen Stellen genau das zurück, was er ihm durch die Baumaßnahme eigentlich genommen hatte, die vorwärtsdrängende Wirkung des Stromes!
Gelungen ist auch die übrige Ausformulierung der Pylonen. Ihr oberer Abschluss mit der bündig in der Fassade sitzenden, über die Spitze laufenden Verglasung und der blecherne, flache "Hauch" eines Daches, die ihrerseits die dynamische Form und die körperhafte Wirkung unterstreichen. Bonatz agierte streng im Sinne des Internationalen Stiles - er wird tatsächlich des öfteren auf dem Weissenhof gewesen sein.
[2] Karin Kirsch "Die Weissenhofsiedlung" 1987 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH Stuttgart S.206
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Schon für sich alleine betrachtet wirkt die Architektur interessant; geradezu sensationell aber unter Einbezug der Umgebung. Skrupellos jagte Bonatz seine immer gleichen Pylonen den Neckar hinunter - egal ob er auf Großstadt, Kleinstadt oder noch unberührte Natur traf - und erzeugte damit fast surreal wirkende Kontraste.
Im immer wieder sehr eng werdenden Neckartal zwischen Mosbach und Heidelberg beispielsweise, wo es außer dem Fluß oft nur steil aufragende, dicht bewaldete, mitunter felsige Hänge gibt, müssen die glatten Körper der Flußpylonen in den 1920er wie Künder einer anderen Welt gewirkt haben. Auch in Kleinststädten wie Hirschhorn oder Neckarsteinach (beide zu Hessen gehörend), die noch kaum ihren z.T. mächtigen mittelalterlichen Festungsanlagen entronnen waren, erschienen sie wie freche Opponenten. Im behutsam sanierten Hirschhorn übrigens ist dieser aufreizende Kontrast Mittelalter - Neuzeit noch heute bestens erlebbar.
Wie sehr hat Bonatz um heimatverbundenes Bauen gekämpft, im Bauwesen Tradition eingefordert! Alles doch wohl nur Worte der Selbstgerechitigkeit. Von all dem ist hier mitnichten auch nur das geringste spürbar - ganz im Gegenteil, Bonatz reagierte zügellos modern auf diese gewachsenen mittelalterlichen Städtchen - auch ein Le Corbusier oder ein Gropius hätten hier kaum weiter gehen können.
Das ficht freilich nur Bonatz` Haltung an und nicht die hier erzielte Wirkung - diese bleibt eine ausgezeichnete!
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Als einziger Spielverderber entpuppte sich nicht von ungefähr das feine, das "Romantische Heidelberg" - das weltberühmte Werk einer durch hohe Baukunst zur menschengerechten baulichen Umwelt veredelten Stadt. Hier nämlich mußte Paul Bonatz die Nähe der Altstadt, die bebaute historische Umgebung auf Geheiß der Stadtoberen berücksichtigen.
Insbesondere die Alte Brücke, das Karlstor und natürlich die weltbekannte Schloßruine zwangen der eigenen Materialität entsprechend einen roten Sandsteinmantel um Betriebsgebäude und die vier Flußpylonen. Reagierte Bonatz deshalb in seiner Formensprache umso härter? Die Übereck-Verglasung und Rundung der Pylonen und damit deren "Weichheit" ist verschwunden, statt dessen enden diese fast fensterlos und eckig spitz - die Körperhaftigkeit ist zur (trotzig erscheinenden) Brachialität gesteigert. Die Pylonen haben nun einen geradezu wehrhaften Charakter, wodurch auf ungewöhnliche Weise eine Korrespondenz zum Schloß mit seinen mächtigen Wehranlagen erzielt wurde!
Obwohl der Materialkontrast entfällt, bleibt die Wirkung eine sehr gute: eine Moderne, die auf ihre Umgebung eingeht, die sich der ortsüblichen Materialien bedient, ist gewiß nicht die schlechteste. Diese Staustufe fügt sich jedenfalls - im Gegensatz zum vorangehenden Beispiel in Hirschhorn - einigermaßen harmonisch in das romantische Stadtbild Heidelbergs. (Im übrigen: im folgenden Jahrzehnt, in den 1930er Jahren sollte diese Herangehensweise gar zum Trend werden: Erich Mendelsohn in Palästina, Corbusiers Landhäuser in Chile und Frankreich, ortsüblichen Naturstein für die Fassaden nutzend, sind hier als Beispiele anführbar.)
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Weniger aus ihrer Wirkung mit der Umgebung, denn vielmehr aus sich selbst heraus, weiß die Bad Cannstadter Staustufe zu gefallen.
Hier hat man wohl die beste Architektur aller Neckarschleusen vor sich. Betriebsgebäude und Pylon verschmelzen gleichsam zu einer spannungsvollen Skulptur. So darf diese Staustufe auch generell unter die besten Ergebnisse des Neuen Bauens in Baden-Württemberg gerechnet werden. Auch hier findet man in unmittelbarer Nähe wertvolle historische Bausubstanz: das schönste klassizistische Schloss Baden-Württembergs, Schloss Rosenstein.
Wiederum sind alle Attribute des Internationalen Stils meisterhaft eingesetzt: von den bündig in der Fassade sitzenden und damit die Körperhaftigkeit betonenden Übereck-Fenstern, bis zum die Vertikale mildernden Übereck-Balkon. Ein Übriges leistet hier der ausschließlich eingesetzte Sichtbeton. Der Baukörper wirkt nämlich wie aus einem "Guß" - moderner ging es denn wirklich nicht.
Und dennoch, ein besonderes Augenmerk sollten wir der markanten parabelförmigen Bogenöffnung knapp über der Wasserebene widmen (Vorderseite). Endlich nämlich bereichert Bonatz die moderne Formensprache durch ein (schon lange erwartetes) historisches Zitat - und weiß damit die skulpturale Kraft der Komposition trefflich zu steigern! Vielmehr im übrigen, als eine zeitgemäße rechteckige Öffnung vermocht hätte.
Als ab 1933 der braune (Un-)Sinn seine Diktatur einrichtete, standen die schon eingeführten Schmitthenner, Schulze-Naumburg und natürlich Paul Bonatz (Stuttgarter Schule) auf der Siegerseite. Ihre oft nationalgefärbte Kritik, war längst schon auf fruchtbaren Boden gefallen: das Neue Bauen wurde kurzerhand verboten!!! Jedenfalls galt dies für deren führende Exponenten. Auf nun wirklich schizophrene Weise (und durchaus entsprechend Bonatz` Verfahrensart) ließ das Nazitum die moderne Formensprache bei der Industrie dienenden Gebäuden weiterhin zu. Und so konnten auch die noch zu errichtenden Neckar-Staustufen unverändert ausgeführt werden.
Und Bonatz selbst?
Er stieg auf: für die neuen Autobahnen durfte er gar mehrfach Brücken entwerfen (und hier selbstredend Panzerlasten einrechnen lassen). Mit der menschenverachtenden Haltung der Dikatur kam er rückblickend allerdings nicht überein. 1944 folgte er einer Hochschul-Berufung in die Türkei. 1944 - weniger intelligente Männer als Paul Bonatz wußten da was die Stunde geschagen hatte.
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